Kodex der Initiative für gewaltfreies Hundetraining

Kodex der Initiative für gewaltfreies Hundetraining 2025

 

Wir orientieren uns an den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen der «Canine Science». Unser Ansatz für das Training und den allgemeinen Umgang mit dem Hund ist daher naturwissenschaftlich und empirisch fundiert.

 

Das Wohlbefinden und die Gesundheit des Hundes stehen im Mittelpunkt, da sie einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten und die Lernfähigkeit haben. Der individuelle, möglichst effektive Trainingsplan zielt immer darauf ab, das Trainingsziel bei Minimierung von Stress und Angst sowie Wahrung des Wohlbefindens zu erreichen.

 

Unsere Trainingsansätze enthalten niemals ein systematisches, gezieltes Zufügen von Schmerz- oder Schreckreizen, angstauslösenden Reizen sowie Einschüchterungen oder den Entzug des Gefühls der Kontrolle.

 

Unsere Trainingsansätze basieren auf folgenden Modellen:

  • «LIMA Modell» (Least Intrusive, Minimally Aversive Effective Behavior Intervention Policy von Lindsay, 2005) und dem Update von Friedman & Fritzler, 2024
  • «LIFE Modell» (Least inhibitive, functionally effective Modell nach Fernandez, 2024)

© Friedman & Fritzler, 2024 (behaviorworks.org)


Das bedeutet für uns:

  • Wir stellen das Wohlbefinden und die Gesundheit des Hundes an die erste Stelle. Wir erfüllen jederzeit die physischen und psychischen Grundbedürfnisse des Hundes und bieten ihm Schutz und Sicherheit.
  • Wir agieren vorausschauend und ergreifen der Situation angepasste Management-Massnahmen, um unerwünschtes Verhalten gar nicht erst entstehen zu lassen (Antecendent Arrangement).
  • Wir fokussieren auf die Ursachen des Verhaltens. Bei negativen Emotionen verändern wir diese zum Positiven.
  • Wir verfolgen eine bedürfnisorientierte Arbeitsweise. Das heisst, wir berücksichtigen die individuellen, rassespezifischen und natürlichen Bedürfnisse des Hundes.
  • Wir verwenden Interventionen, Lerntechniken und Trainingsmassnahmen, die Verhalten möglichst wenig hemmen und stattdessen dem Tier möglichst viele Wahlmöglichkeiten gewähren.
  • Neben der operanten Konditionierung nutzen wir weitere Lernformen wie Beobachtungslernen, Lernen durch Einsicht und soziales Lernen, klassische Konditionierung/Gegenkonditionierung sowie die systematische Desensibilisierung, Habituation und Sensibilisierung.
  • Wir setzen auf das Erlernen und Festigen von alternativen Verhaltensweisen zur nachhaltigen Veränderung von unerwünschtem Verhalten.

Operante Konditionierung:

  • Wir arbeiten auf Basis der positiven Verstärkung.
  • Negative Strafe wird kurzzeitig und auf möglichst niedrigem Frustrations- und Stressniveau eingesetzt. Dabei wird dem Hund möglichst rasch die Möglichkeit geboten, erwünschtes Verhalten zu zeigen, welches wiederum positiv verstärkt wird.
  • Falls negative Verstärkung eingesetzt wird, wird der potentiell unangenehme Reiz in möglichst geringer Intensität präsentiert (z.B. mit Vergrösserung der Distanz zu einem angstauslösenden Reiz).
  • Bei allen Trainingsmethoden steht das Wohlbefinden und die Sicherheit aller Beteiligten im Zentrum und wir vermeiden es, das Tier zu erschrecken, einzuschüchtern, ihm Schmerzen zuzufügen, es gezielt zu überfordern oder das Gefühl eines Kontrollverlusts zu erzeugen.
  • Aus lernbiologischen und ethischen Gründen verzichten wir auf den gezielten Einsatz von positiver Strafe und damit dem gezielten Zufügen physischer und/oder psychischer Reize, die beispielsweise Angst, Schrecken, Schmerzen und/oder das Gefühl des Kontrollverlusts auslösen. In Notsituationen oder aus Überforderung und im Affekt können Dinge passieren, die für den Hund aversiv sind. Dies hat jedoch nichts mit geplantem und gezieltem Training zu tun.

 

Fachpersonen, welche diesen Kodex unterstützen, halten sich gleichzeitig an die Checkliste der Initiative für gewaltfreies Hundetraining zur Erkennung kompetenter Hundetrainer:nnen.

 

Interpretationen von Hundeverhalten

Zur Einschätzung von hündischem Verhalten orientieren wir uns an wissenschaftlich belegten Erkenntnissen zur Körpersprache und einer wohlwollenden Auslegung. Wir distanzieren uns von Verhaltensetikettierungen wie «dominant», «respektlos» oder «frech» sowie von den wissenschaftlich widerlegten Interpretationen aufgrund des «Dominanz-Modells» in der Mensch-Hund-Beziehung («Rangordnung», «Alpha», «Rudelführer»), die zur Legitimation von aversiven Handlungen genutzt werden (Bradshaw et al., 2009; Yin, 2007).

 

Stetige Weiterbildung

Es werden fortwährend neue wissenschaftliche Erkenntnisse publiziert und die praktische Anwendung befindet sich in ihren Details in steter Anpassung und Veränderung. Wir verpflichten uns zur stetigen Weiterbildung, um neue Erkenntnisse in unsere Arbeit einfliessen zu lassen.

 

Zusammenarbeit mit Spezialist:innen

Es ist eine Stärke, die eigenen Grenzen der Erfahrung und Kompetenz zu erkennen. Sollten wir bei einem schwierigen Fall (v.a. bei Angst- oder Aggressionsverhalten) an unsere Grenzen stossen, ist der frühzeitige Einbezug oder die Weiterleitung an eine den Kodex befürwortende, versierte Fachperson (Verhaltenstraining, Hundetraining, Verhaltensmedizin, Veterinärmedizin, Physiotherapie etc.) der richtige nächste Schritt.

 

Unsere ethische Haltung

Wir denken, dass der Zweck die Mittel nicht heiligt, wenn die Mittel unverhältnismässig sind und bessere Alternativen vorhanden sind.

Bei unseren Handlungen lassen wir uns von einem ethischen Rahmen leiten. Wir berücksichtigen die Interessen und die Leidensfähigkeit aller beteiligten Lebewesen und streben stets danach, die Situation für alle beteiligten Lebewesen nachhaltig zu verbessern.

Wir sind uns bewusst, dass Hunde empfindungsfähige und leidensfähige Lebewesen sind. Wir sind in einer Machtposition und stehen somit in der Verantwortung, ihre Bedürfnisse so gut wie möglich zu erfüllen, ihre Interessen zu wahren und ihr emotionales wie physisches Wohlbefinden anzustreben beziehungsweise zu erhalten.

 

Die Initiative für gewaltfreies Hundetraining behält sich vor, diesen Kodex zu überarbeiten, beispielsweise aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder verbesserter Formulierungen.

 

Stand März 2025

 

Quellen

Bradshaw, J. W., Blackwell, E. J. and Casey, R. A. (2009). Dominance in domestic dogs – useful construct or bad habit? Journal of Veterinary Behavior, 4, 135–144.

Fernandez, E.J. (2024). The least inhibitive, functionally effective (LIFE) model: A new framework for ethical animal training practices, Journal of Veterinary Behavior, 71, 63-68.

Lindsay, S.R. (2005). Handbook of Applied Dog Behaviour and Training: Procedures and Protocols Vol. Blackwell Publishing, Ame, Iowa.

Yin, S. (2007). Dominance versus leadership in dog training. Compendiumvet.com, July 2007, 414–417.

 


Checkliste der Initiative für gewaltfreies Hundetraining zur Erkennung kompetenter Hundetrainer:innen 2025

 

So erkenne ich kompetente Trainer:innen

«Hundetrainer:in» (Hundepsychologe, Hundecoach etc.) ist kein geschützter Beruf. Jede Person darf sich so nennen und entsprechende Dienstleistungen anbieten – selbst ohne fachliche Ausbildung. Zudem gibt es grosse Unterschiede in der Qualität der verschiedenen Hundetrainerausbildungen.

 

Die folgenden Checklisten können helfen, gute Trainer:innen zu erkennen, die nach dem Kodex der Initiative für gewaltfreies Hundetraining arbeiten:

 

Kompetente Hundetrainer:innen ...

… verfügen über eine einschlägige, nachweisbar abgeschlossene Ausbildung und bilden sich laufend fort

… berücksichtigen gesundheitliche und verhaltensspezifische Ursachen für unerwünschtes Verhalten

… arbeiten mit Tierärzt:innen und/oder Verhaltensmediziner:innen zusammen, um medizinische Ursachen auszuschliessen und/oder medikamentöse Unterstützung zu prüfen

… bauen das individuell gestaltete Training auf gemeinsamen Erfolgserlebnissen auf

… arbeiten bedürfnisorientiert, kleinschrittig und systematisch auf Basis der positiven Verstärkung

… arbeiten, wenn immer möglich, unterhalb der Reizschwelle und steigern die Schwierigkeit langsam

… lassen dem Hund Wahlmöglichkeiten und das Gefühl der Kontrolle

… gehen respektvoll mit Menschen und Hunden um

 

Beispiele sinnvoller Hilfsmittel im Hundetraining

  • Futter
  • Spielzeug
  • freundlicher Körperkontakt
  • Stimme (motivierend, lobend)
  • Clicker/Markerwort
  • Targets
  • Umweltbelohnungen
  • Leine, Schleppleine
  • gutsitzendes Brustgeschirr
  • breites, bequemes Halsband
  • Kopfhalfter (positiv aufgebaut)
  • Maulkorb (positiv aufgebaut)

 

No-Go-Hilfsmittel

Diese Hilfsmittel haben im modernen Hundetraining nichts verloren und sind teilweise verboten.

Beispiele:

  • Zughalsbänder ohne Stopp
  • sich zuschnürende Führgeschirre
  • Lendenleinen
  • Schreckreize wie Schütteldosen, Wurfketten/Discs oder Spritzflaschen
  • Erziehungshalsbänder (Luft, Wasser, chemische Substanzen, akustische Reize)
  • Stachelhalsbänder
  • Elektroschockhalsbänder
  • Bell-Stopp-Geräte (senden Druckluft, Wasser, chemische Substanzen od. akustische Reize aus)

 

No-Go-Massnahmen

Diese Massnahmen haben im modernen Hundetraining nichts verloren und verstossen zum grossen Teil auch gegen das Tierschutzgesetz.

Beispiele:

  • Futterbelohnungen kategorisch untersagen
  • den Hund im Ausleben seiner Bedürfnisse unverhältnismässig stark einschränken (z.B. schnüffeln, pinkeln)
  • dem Hund Schmerzen zufügen und/oder ihn in Angst versetzen
  • dem Hund systematisch und gezielt das Gefühl der Kontrolle entziehen
  • den Hund gezielt in eine ihn überfordernde Situation drängen (Reizüberflutung/Flooding), um unerwünschtes Verhalten zu provozieren
  • den Hund beispielsweise zur «Unterordnung» über einen längeren Zeitraum isolieren und/oder an einen bestimmten Platz zwingen
  • psychologische Einschüchterung (z.B. sich drohend über den Hund beugen, blocken, anstarren, anschreien, anknurren, anzischen)
  • Leinenruck/Leinenimpuls
  • Schlagen und Treten
  • den Hund auf den Rücken werfen/drehen/auf den Boden drücken
  • mit den Händen Bisse imitieren, Schnauzengriff

 

Nobody is perfect!

 

Im Alltag begegnen uns unvorhersehbare (Not-)Situationen, in denen wir unangenehm auf den Hund einwirken, um ihn oder das Umfeld zu schützen. Manchmal erschrecken wir ihn oder handeln im Affekt, beispielsweise indem wir laut werden oder ihn grob festhalten. Dann befinden wir uns im Bereich der «positiven Strafe» (etwas Unangenehmes wird dem Hund hinzugefügt). Solche affektiven und/oder unbeabsichtigten Einwirkungen unterscheiden sich jedoch grundlegend von geplantem Training. Im gezielten und geplanten Umgang und Training mit dem Hund verzichten wir bewusst auf aversive Einwirkungen.

 

 

Kompetentes Training bedeutet, bewusst auf erschreckende oder ängstigende Einwirkungen zu verzichten, keine körpersprachlichen Bedrohungen und Einschränkungen zu nutzen oder Hilfsmittel einzusetzen, die Schmerzen verursachen. Es wird kontinuierlich danach gestrebt, fair und respektvoll mit dem Hund umzugehen.

 

Stand März 2025

 

 


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Positionspapier Initiative für gewaltfreies Hundetraining
Positionspapier Initiative gewaltfreies
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Photo: Monika Oberli